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Schatztruhe

Hintergrundinformationen

gelöschte Szenen Aiden- im Kerker

Wenig später schritt der Herzog durch sein Schloss zu den Unterkünften der Gefangenen. Als die Wachen die Türen zum Verlies öffneten, schlug dem Herzog ein strenger Duft in die Nase. Es roch nach nicht ausgemisteten Pferdeställen, Urin, geronnenem Blut, verbranntem und faulendem Fleisch. Der Herzog schnappte nur kurz nach Luft, dann betrat er den Folterkeller.

Da es hier unten kaum Fenster gab, wurde der Raum durch Fackeln erhellt, deren Ruß die Decke im Laufe der Jahrhunderte schwarz gefärbt hatte. In einer Reihe zur Linken waren durch dunkle Gitter Gefängniszellen abgeteilt. In jeder der Zellen hockte eine verwahrloste, zerrissene Gestalt, die mit dicken Ketten an der Wand festgebunden war. Einige schienen zu schlafen, andere wimmerten leise vor sich hin. Eine der Gestalten stand mit glasigen Augen in eine Ecke gekauert. Unfähig die Umgebung wahr zu nehmen. Zerfetzte, dreckige Kleidung hing an ihm herunter. An den Stellen, an denen die Haut unter dem Schmutz zu sehen war, war sie entweder bleich oder blutig. Eitrigen Wunden nässten den einen Unterarm der Gestalt. Doch der Geist des ehemaligen Menschen war soweit hinfort gespült, dass er keine Schmerzen mehr fühlte.

Der Herzog trat einen Schritt näher und betrachtete den Gefangenen genauer. Er war einmal ein starker, stolzer Mann gewesen. Ein Schmied, nach den Resten der Kleidung zu urteilen. Das zottelige Haar hing ihm von der Stirn ins Gesicht.  Doch der Herzog konnte bereits erkennen, dass es nicht mehr gänzlich menschlich wirkte. Zufrieden wandte er sich an den Kerkermeister, der hinter ihn getreten war und mit einer angemessenen Verbeugung begrüßte.

„Einer unserer Erfolge. Von denen wir im Augenblick leider viel zu wenige haben.“

Mit einem kaum verhohlenen Blick schielte er auf einen Haufen Leichen, die in der Ecke hinter dem Schmiedefeuer gelagert waren, dass in der Mitte des Raumes hell loderte.

„Wie werden sie gleich entsorgen.“

Der Herzog blickte den Stapel an.

„So viele? Wie viele haben es bis jetzt geschafft?“

Der Kerkermeister zögerte zu antworten, bis der Herzog ungeduldig mit den Fingern schnippte.

„Nur die, die Sie hier sehen, mein Herr.“

Der Herzog stöhnte. Dann blickte er auf die Handvoll Gefängniszellen zurück.

„Das ist zu wenig.“

Der Kerkermeister nickte eifrig.

„Ich weiß mein Herr. Doch die Prozedur ist schmerzhaft und viele überleben es schlicht nicht. Ihr Wahnsinn ist von solchem Ausmaß, dass sie sich selbst zerfetzen. Wir können sie nicht immer aufhalten. Sobald wir sie von den Ketten lösen, gehen sie aufeinander los oder verstümmeln sich selbst, dass sie keinen Wert mehr für uns haben.“

Der Herzog seufzte.

„Das ist zu wenig. Viel zu wenig.“

Der Kerkermeister nickte noch einmal heftig und zustimmend, während er sich tiefer verbeugte.
„Wenn wir den Edelstein hätten, könnten wir das Ritual durchführen. Dann könnten wir mehr Menschen gleichzeitig verwandeln.“

Er wollte weiter sprechen doch der Herzog unterbrach ihn unwirsch.

„Ich weiß. Durch den Stein werden die Widerstände der Menschen gemildert und die Verwandlung wird vereinfacht. Mehr Menschen werden zu Verdammten. Aber wir haben den verflixten Stein nicht. Sieh zu, dass du die Anzahl der Verdammten erhöhst. Egal wie. Wir müssen vorbereitet sein.“

Der Kerkermeister fiel beinahe auf die Knie, so tief verbeugte er sich.

„Wir sind an unseren Grenzen. Mit aller Ehrfurcht vor euch. Wir können nicht noch schneller arbeiten. Dann gehen uns die Opfer zu schnell aus und die Anzahl derer, die das nicht überstehen wird noch größer.“

Frustriert seufzte der Herzog.

„Tut was ihr könnt. Ich brauche mehr Verdammte.“

Wie auf Kommando begann sich die Gestalt in der letzten Zelle zu regen. Sie richtete sich vollkommen auf, bis sie frei da stand. Die Augen noch immer glasig und ohne einen Ausdruck. Sie warf die Haare zurück und trat einen Schritt nach vorne. Das Gesicht war grausam verzerrt. Gier und Hass machte sich breit. Ein wilder Hunger begann in den Augen zu glitzern. Doch die Gestalt bewegte sich nicht. Sie schien zu schnuppern. Sie atmete tief den Gestank des Verlieses ein und versuchte etwas essbares zu erschnüffeln. Aber es war kein lebendes Fleisch in der Nähe. Unzufrieden knurrend zog sie sich in die Ecke der Gefängniszelle zurück. Der Herzog blickte zum Kerkermeister. Dieser nickte.

„Die Verwandlung ist bei ihm endgültig vollzogen. Nun müssen wir ihn nur noch am Leben halten, bis er eingesetzt werden kann. Er ist groß und kräftigt. Er wird unter den Geweihten und den Menschen viel Schaden anrichten.“

Der Herzog nickte zufrieden. Ein Flüstern hinter sich erregte jedoch seine Aufmerksamkeit. Der Herold war hinter ihn getreten und bat ihn zu seiner Audienz. Seufzend wandte der Herzog sich um. Die Belange seiner Menschen scherten ihn recht wenig. Um die Ordnung unter den Lämmern aber aufrechtzuerhalten, hatte er eine regelmäßige Audienz gewährt. Der Herold erinnerte ihn nun daran, dass diese lästige Pflicht wieder anstand. So folgte er ihm seufzend in den Audienzsaal.

Dort warteten schon eine schier endlose Anzahl von Bauern, Mägden und Boten. Gelangweilt nahm der Herzog auf seinem Thron Platz und ließ das erste Anliegen des Tages vortragen. Je schneller er das hier erledigte, umso schneller konnte er sich wieder den wichtigen Dingen zuwenden. Während die Schar der Bittsteller an ihm vorbeizog schweiften seine Gedanken immer wieder ab.
Wo war sein Bote mit dem Stein abgeblieben? Wie hatten die anderen Sippen von dem Transport erfahren? Wie sollte er Ersatz beschaffen? Es war schwer genug gewesen, diesen einen Stein aufzutreiben. Einen weiteren zu finden, schien unmöglich. Es musste einfach gelingen Gregorius und seine Fracht wiederzufinden. Oder zumindest den Stein in die Hände zu bekommen. Gregorius Schicksal war schon besiedelt, als er den Auftrag angenommen hatte. Keiner der Boten bekam die Gelegenheit von seinen Abenteuern zu erzählen. Der Herzog würde seine Verwandlung in einen Verdammte höchstpersönlich vollziehen. Ein grimmiges Lächeln huschte über sein Gesicht. Die Familie der del Montelaros war ihm schon lange ein Dorn im Auge gewesen. Aber ihre Stellung unter den Menschen hatte verhindert, dass der Herzog sie einfach ausrotten konnte. Sie wurden von den menschlichen Herzogen und angrenzenden Ländern respektiert und genossen hohes Ansehen beim Adel und im einfachen Volk. Selbst die Untertanen der del Montelaros hatten kein schlechtes Wort über ihre Herren zu berichten. Ihre Ländereien grenzten zwar an sein Land an, hatten aber den Status eines Freistaates. Doch das hatte der Herzog geändert. Seit Gregorius vor einem halben Jahr aufgebrochen war, hatte er den Ruf der Familie zerstört, die Mitglieder der Familie getötet oder vertrieben und die Untertanen eingekerkert. Wenn sie nicht schon tot waren, warteten sie drauf zu Verdammten gemacht zu werden.

Ein Räuspern holte den Herzog aus seinen Tagträumereien. Unwillig wandte er sich wieder dem Streitfall zu, den die beiden Bauern vortrugen.

Als letztes in der unendlichen Reihe der Bittsteller trat ein Bote ein. Der Herzog musterte die magere Gestalt. Es war keiner seiner Diener. Stirnrunzelnd wandte er sich an den Herold, der neben ihm stand. Dieser flüsterte ihm zu, dass es sich um einen Boten aus dem Reich Vetad sei. Das Stirnrunzeln des Herzogs vertiefte sich weiter. Dieses Gebiet östlich seiner Landesgrenzen wurde von allen Sippen gemieden. Aus gutem Grund. Hier herrschten die Urshu über ein kleines schwer zu erreichendes Tal. Todfeinde aller Sippen. Sie hatten dieses winzige Stück Land erobert und verteidigten es nun eisern gegen alle Geweihte. 

Der Herzog gab mit einem kurzen Nicken zu verstehen, dass er den Boten empfangen würde. Er hob kurz sein Gesicht und atmete langsam ein. Wie erwartet stand ein Mensch vor ihm. Aber man konnte nie vorsichtig genug sein. Er konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie seine Soldaten etwas näher rückten und sich damit auch sichtbar machten. Der Bote nahm das mit Schrecken zu Kenntnis. Der Herzog grinste verschlagen. Auch die Urshu lernten wohl dazu.

Der Bote verbeugte sich tief und übergab dem Herold einen Umschlag. Der Herold drehte dem Boten den Rücken zu und wandte sich zum Herzog. Dabei ließ er kurz seine Fratze aufblitzen. Das Gesicht sah plötzlich verzerrt aus. Als hätten sich tausend kleine Wutrollen aufgestaut. Hässliche Wülste spannten sich über seine Stirne. Sein Mund wirkte zu klein für die scharfen, hervorstehenden Eckzähne. Seine Augen wurden dunkel und funkelten in kalter Vorfreude. Er betrachtete das schwere Papier aufmerksam, konnte aber wohl keine Gefahr erkennen. Sein Blick wanderte zum Herzog, doch dieser schüttelte unmerklich den Kopf. Enttäuscht nickte der Herold und sein Gesicht nahm wieder menschliche Züge an, während er den Umschlag an den Herzog übergab.

Schweigend wartete der Bote, während der Herzog quälend langsam den Brief öffnete und das Schreiben entnahm. Sorgfältig las er die wenigen Zeilen. Sein Stirnrunzeln vertiefte sich wieder. Ein Friedensangebot der Urshu. Von so etwas ungeheuerlichem hatte er noch nie gehört. Die Urshu jagten schon seit Jahrtausenden die Geweihten, mit dem Ziel die Sippen auszurotten und jeden einzelnen Geweihten zu töten. Sie taten alles, um die Abwehr der Sippen zu unterwandern und die Familien auszulöschen. Und dieser Tölpel von Mensch stand hier voller Unschuld und wartete auf eine Antwort. Der Herzog sog tief die Luft ein und las voller Unglaube die Schlussformel. Sein Blick richtete sich wieder auf den Boten.

„Sagt, was hat euch euer Herr aufgetragen.“

Der Bote nickte. Ihm war offensichtlich unbehaglich zwischen all den Soldaten. Dabei schien er nicht mal zu ahnen in was für einer Gefahr er wirklich schwebte. Zögernd antwortete er.

„Orhan bat mich diesen Brief zu überbringen und dafür Sorge zu tragen, dass ihr ihn persönlich lest und anschließend vernichtet. Das war Orhan sehr wichtig. Das Schreiben muss umgehend vernichtet werden.“

Der Herzog nickte.

„Das glaube ich wohl. Doch sagt, hat er euch auch Anweisung gegeben, was ihr nach der Übergabe zu tun habt?“

Der Bote nickte und schluckte.

„Er sagte, ich dürfe nicht ohne eine Antwort wieder kommen.“

Der Herzog schnaufte amüsiert.

„Das dachte ich mir.“

Mit diesen Worten reichte er das Schreiben an den Herold weiter und deutete auf den letzten Satz. Der Herold stieß einen Laut der Überraschung aus. Dann wandte er sich zum Herzog.

„Was wünscht ihr zu tun, Herr?“

Der Herzog dachte einen Augenblick nach. Schien aber zu keiner Entscheidung zu kommen. Schließlich seufzte er.

„Richtet eurem Herren aus, dass wir seine Angebote zu schätzen wissen, aber im Augenblick keine Verwendung dafür haben.“

Der Bote nickte und verbeugte sich tief. Mit Erleichterung schien er zu bemerken, dass die Soldaten ihn ungehindert gehen lassen würden. Ohne sich noch einmal umzublicken marschierte er so schnell wie möglich aus dem Saal.

Der Herold wandte sich kopfschüttelnd zum Herzog um.

„Was dieser Mensch wohl angestellt hat, dass er euch als Geschenk angeboten wurde?“

Der Herzog verzog das Gesicht.

„Wenn mir ein Urshu den Frieden anbietet und mir ein solches Geschenk macht, muss da etwas im Busch sein.  Keine Ahnung, ob er den Boten vergiftet hat. Oder warum Orhan auf die Idee kommt, dass ich auf seinen Vorschlag eingehe. Er würde sich bei der erstbesten Gelegenheit gegen uns stellen. Noch eine Front im kommenden Krieg kann ich mir nicht leisten. Jedenfalls nicht, solange ich den Stein nicht habe. Wo bleiben die Nachrichten über den Verbleib?“

Der Herold zuckte wegen der Heftigkeit des Stimmungsumschwungs seines Herren zusammen, verneigte sich tief und versicherte, dass er sich sofort darum kümmern würde. Eilig schlüpfte er aus dem Raum.